Kretische Küste
I.
Vor mir ein grünes Meer, ein roter Strand
und hinter mir die himmelhohe Wand
der Weißen Berge, mit Gesträuch schraffiert,
mit Schluchten aufgeteilt, vom Mond berührt.
Es schwindelt mich, so schroff ist es und schön…
ich möchte mitten ins Gebirge gehn,
als sei es eines Mannes Wohlgestalt
und berge sein Gemüt in jedem Spalt.
II.
Der kupferfarbne Sand wird doch zu Gold,
wo er in steiler Woge niederrollt
und sich mit jenem Brennendblau benetzt,
das kommt und nochmals kommt… und jetzt… und jetzt.
Und Disteln starren in dem dürren Strand,
die plötzlich strahlen wie von Zauberhand,
wenn erster Regen flüchtig niedersteigt
und Brautkleidblüten aus den Blättern treibt!
III.
Wo täglich Himmel sich mit Meer vermählt
und Landes Rand von anderm Strand erzählt,
wo trockne Erde wie der Tagstern loht
von silbriggold bis zu orangerot,
wo noch bei Nacht das Wasser, kaum bewegt,
den Leib in schwerelosem Zauber trägt,
bis in das sanfte Schwarz ein Schweifstern stürzt –
dort laß uns warten auf den milden Herbst.
IV.
Mit riesenhaften grünen Pranken greift
das Meer hinein in den geschützten Kreis
des kleinen Hafens, daß die Mole schäumt
und sich die bunte Schar der Boote bäumt.
Des späten Herbstes erstes Fauchen fährt
in letzte schwere Hitze wie ein Schwert.
Fünftausend Jahre aber ragt die Stadt
ins Element, gelassen, sonnensatt.
Christina Egan © 2014
For more poetry and information
on Knossos and Chania on Crete
see my English poems
The Pattern of a Yesterday and
Golden Dell.
Frieze in the royal palace at Knossos, Crete.
Photograph: Harrieta171 via Wikimedia.